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Türkei V die Schwarzmeerküste von Hopa bis Sinop


The Story of Elham und Amir und ein großes Unwetter


Hopa, die quirlige 25.000 Einwohner zählende Stadt unweit zur Grenze Georgiens besuchten wir bereits im Jahr 2019. Die Schwarzmeerküste wollten wir sowieso abfahren, also beginnen wir am nördlichsten Zipfel dieser Region. Nur 15 km trennen hier die Türkei von Georgien.

Aber aus einen noch ganz anderen besonderen Grund besuchen wir diese Stadt noch einmal. Erinnert ihr euch an das junge Iranische Paar aus dem ersten Türkeibericht? Ihre Arbeit in Selchuk ist beendet und  sie wollten sich sowieso auf den Weg Richtung Georgien machen, um ihren nächsten Job in Ureki in der Nähe von Batumi anzutreten. Das passt sich gut. Einem zweiten Treffen steht also nichts im Weg. 

Während wir uns einen Entspannungstag gönnen, befinden sich die Beiden auf dem Weg, fast  24 Stunden im Bus, die Fahrräder mit im Gepäck. Dann erhalten wir die Nachricht: " Wir sind angekommen!" und eine halbe Stunde kommen sie tatsächlich vom Busbahnhof angeradelt, so fröhlich winkend, als befänden sie sich auf einer normalen Radtour rund um den Bodensee! Wir schließen sie in die Arme, als Freunde, als unsere Kinder - könnten wir doch ihre Eltern sein - und als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen! Das ist ein ganz besonderer Moment!

Wir gönnen ihnen ein Hotelzimmer und sie fangen an, ihr Gepäck abzuschnallen, genauso wie wir immer unser Gepäck von unseren Motorrädern abschnallen, jeder hat so seine Aufgabe. Sogar ein Zelt ist dabei! Und ein in einem großen Koffer gut verpacktes Instrument.

Nur ihr Gepäck ist, im Gegensatz zu dem unseren, alles, was sie besitzen.  Da ist ihr ganzes Leben drin. Alles, was sie brauchen! "Freiheit!", sagen sie so ganz ungezwungen lachend!

Wir haben ein Zuhause, sie nicht (mehr)!

Wir haben ein sicheres Leben außerhalb dieser Reise, sie nicht!

Wir haben einen Staat, der uns auffängt, wenn es uns nicht gut geht, sie haben einen menschenverachtenden Staat, den sie verlassen mussten!

Wir dürfen unsere Meinung frei äußern, sie müssen um ihr Leben bangen, wenn sie es tun!

Wir sind als Mann und Frau gleich berechtigt, sie nicht!

Wir können mit unserem Pass fast überall hin, sie nicht!

Wir haben alles, sie haben wenig!

Wir haben uns, sie haben sich!

Wir sind mit unserem Leben zufrieden, sie sind es auch!

Wir sind glücklich, sie sind es auch!

 

Wir treffen uns zum Essen, sitzen in einem Lokal mit Meerblick so ungezwungen zusammen, als wenn wir uns, wie Zuhause mit Freunden verabredet hätten. Wir lachen viel und sprechen über ganz alltägliche Dinge, wir sprechen über unsere Kinder, wie wir leben, über unser Zuhause und über Deutschland, von dem sie so gar keine Vorstellung haben und sie reden über ihre Familien und den Iran. Unser aller  Englisch stößt leider an seine Grenzen, und so ganz tief greifende Gespräche können wir leider nicht führen, aber wir erfahren doch so Einiges. Die Beiden kommen aus Maschhad, der mit 3 Mio. Einwohner zweitgrößten Stadt des Irans, die Nordosten des Landes Richtung Turkmenistan und Afghanistan.

Sie sind Beide Anfang Dreißig, Elli, die mit richtigen Namen Elham heißt ist von Beruf Architektin und Amir ist Schlosser. Sie sind seit 5 Jahren ein Paar. Bei uns etwas ganz Alltägliches, absolut nichts Ungewöhnliches. Zwei Menschen verlieben sich in einander, und möchten ohne gleich zu heiraten einfach nur so zusammenleben. So ist doch der Weg der meisten jungen Menschen im 21igsten Jahrhundert!

Wie wir alle wohl aus den Nachrichten wissen, im Iran ist das ganz anders. Elham und Amir erzählen uns ihre ganz persönliche Geschichte:

Ellis Eltern, besonders ihr Vater sind nicht begeistert, dass ihre Tochter sich ihren Mann selbst ausgesucht hat und schon gar nicht, dass die Beiden unverheiratet zusammen leben möchten.  Sie versuchen es dennoch trotz aller Erschwernisse, Komplikationen und Behinderungen seitens der Familien und des Staates, bekommen aber als unverheiratetes Paar keine Wohnung. Elli mit Mitte Zwanzig, muss ihre Eltern um Erlaubnis fragen, um sich in der Öffentlichkeit mit Amir treffen zu können Nur heiraten aus diesem Grund, nein das wollen sie nicht, denn das machen viele ihrer Freunde so, die jungen Männer versprechen ihren Frauen Gleichberechtigung auch in der Ehe, die meisten sind es wohl auch. Sollte sich das Ändern, dann hat der Mann alle Gewalt über seine Frau, darf ihr sogar verbieten, das Haus zu verlassen. Auch wenn Amir beteuert, nein, so wäre er natürlich nicht und das glauben wir ihm sofort, möchten die beiden trotzdem nicht heiraten. Gerade aus Prinzip wollen sie dem Staat wenigstens auf diese Weise die Stirn bieten und sich nicht fügen Sie wollen nicht einfach so mit schwimmen und entscheiden sich, das Land in Richtung Ungewissheit aber in Freiheit zu verlassen. Sie haben all ihr Hab und Gut verkauft, zwei gute Fahrräder und ein Zelt gekauft, die nun ihre Heimat sind. 

Sie sind bei Workaway gemeldet, wo sie in verschiedenen Projekten gegen Arbeit, freie Kost und Logis erhalten und wo sie zeitweise so etwas wie ein Zuhause finden. 

Das alles ist  nun gut 10 Monate her. Noch bevor Mahsa Amini zu Tode kam. Sie und ihr Tod sind Sinnbild für diesen schrecklichen Staat und Auslöser für Demonstrationen. Der Mullahstaat scheint zu bröckeln, der sich nur mit Unterdrückung und abschreckende Maßnahmen, wie wir in unseren Medien vernommen haben, aufrecht halten kann. Unterdrückung, Willkür, Folter sind an der Tagesordnung. Wer auf der Straße demonstriert, Frauen, die ihr Kopftuch ablegen oder so wie Elham und Amir einfach nur eine gemeinsame Wohnung beziehen möchten, sie alle müssen mit Verhaftung, Folter oder gar der Todesstrafe rechnen! Ein Hoffnungsschimmer ist die neue Generation, alle jungen Leute sind gut vernetzt und in sozialen Medien, soweit es geht, tätig! Was für ein Mut, wenn man sogar sein Leben aufs Spiel setzt!

Asyl in einem EU-Staat beantragen - das schrieb ich ja schon im ersten Bericht - wollen sie nicht! Vorerst nicht! Denn sie hoffen auf Veränderungen im Iran!

Hoffentlich tut sich bald etwas in dem menschenverachtenden Mullahstaat!

Ob Elli absichtlich und aus Protest die Haare so kurz trägt, traue ich mich nicht zu fragen. Die Frisur ist natürlich auch praktisch auf Reisen und unterstreicht ihr hübsches Gesicht.

Der Abend vergeht wie im Flug. Amir packt die Dutar aus, sein wertvolles Instrument, eine 2 Saiten- Langhalslaute mit ganz besonderem Klang, die vorwiegend in Persien gespielt wird. Ganz vertieft ist er, als er uns vorspielt. Und wir sind ganz ergriffen, ich muss tatsächlich Tränen verkneifen!

Diese Geschichte über Elham und Amir ist uns so sehr zu Herzen gegangen, dass ich sie sehr ausführlich beschrieben habe. Sie wird noch lange nachhallen und die Beiden haben einen ganz besonderen Platz in unserem Herzen.

 

Die Beiden haben auch einen Instagram Account:

a,jbr3070

eelii.m

 

So viele Fragen bleiben unbeantwortet...!

Der Abschied am nächsten Morgen könnte nicht trauriger sein, noch ein gemeinsames Frühstück und wir bepacken stillschweigend unsere Zweiräder, der Himmel ist dicht verhangen und er weint in Form von Nieselregen. Wir machen es kurz, drücken uns und verabschieden uns mit den Worten :  "It´s not the last time!"

Unsere Wege trennen sich in gegensätzliche Richtungen. Sie müssen heute die Grenze zu Georgien passieren. Und wir setzen unsere Reise Richtung Südwesten fort , der D 010 folgend über Rize, Trabzon bis nach Giresun und dann weiter in die Nähe von  Sinop, der Hafenstadt und dem Badeort im Norden Anatoliens!

Schon kurz nach Hopa geht der weinende Himmel in großes Schluchzen und die aller größten Kullertränen über. Dem Niesel folgt Starkregen, dem Starkregen folgt heftigstes Unwetter, es ist alles dabei, Blitz Donner und Hagel. Da nutzen auch die besten Kombis und Regenklamotten nichts! In kürzester Zeit sind wir durchnässt bis auf die Haut. Die Straßen sind so unterspült, dass man keine Fahrbahnmarkierung mehr erkennen kann. Eine Tankstelle oder Ähnliches zum Unterstellen weit und breit nicht Sicht, man kann sowieso nichts! Ein Unterstellen würde auch nichts bringen, denn das ist kein kurzer Schauer, nachdem man wieder weiterfahren kann, es bleibt so! Heftig und unerbittlich kommt das Wasser von oben! Wir  erkennen schemenhaft im Augenwinkel, wie sich von den Bergen sogar Schlamm lawinenartig an manchen Stellen auf die gegenüberliegende Straßenseite ergießt.

Wir fahren nur noch mit Warnblinker, was übrigens sogar die meisten chaotischen Autofahrer auch tun, unsere Höchstgeschwindkeit ist 40 km/h und wir können gar nicht mehr zwischen den Duschen aus dem Spritzwasser der überholenden Fahrzeuge und dem Sturzregen von oben unterscheiden!

Anderthalb Tage und ganze 500 km geht das so, mal normaler Regen, mal Sturzregen, mal heftigstes Unwetter. Später erfahren wir, dass eine Unwetterfront genau die Bergkette entlang zog, die sich direkt hinter dem Meer emporhebt und sich von West nach Ost aus Richtung Istanbul bis hoch nach Georgien zog.

Regen ist hier an der Küste nichts Ungewöhnliches, aber solche Unwetter nehmen von Jahr zu Jahr zu.

Wir passieren die Großstadt Trabson und kämpfen uns langsam Richtung Westen vor. In unserem Hotel in Giresun schaut man uns ganz schief an, als wir triefendnass und mit Dreck besprenkelt die Lobby des Hotels betreten, natürlich bemüht, so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen! Unser gebuchtes Zimmer gibt man uns zum Glück  trotzdem und für kurze Zeit macht das Unwetter eine kurze Pause und wir können trockenen Fußes durch Giresun spazieren.

 

In Giresun steht alles im Zeichen der Haselnuss, denn die  Gegend ist eine der größten Haselnussanbaugebiete nicht nur landes - sondern auch weltweit und 80 % des Weltanbaus kommen aus dieser Region. Hier befindet sich auch die größte Haselnussfabrik des Landes und einer der größten Abnehmer ist Ferrero.

 

Unsere nassen Klamotten hängen wir zwar auf, so gut wie es eben in einem Hotelzimmer geht. Die Kombis fühlen sind am nächsten Morgen noch kiloschwer an, die Wangenpolster vom Helm sind klamm, auch das Föhnen der Stiefel bringt nichts, wobei meine Stiefel dank der Gamaschen noch recht trocken sind. Unsere Hände werden sogleich schrumpelig von den nassen Handschuhen. Es lohnt sich auch nicht, die Ersatzhandschuhe anzuziehen, denn es hört ja gar nicht auf! Es schüttet weiter und  normaler Regen ist selten. Sturzfluten ergießen sich weiterhin über. Hinter jeder Kurve hoffen wir, dass es doch endlich aufhören möge, bis  wir kurz hinter Samsun unser Bitten und Flehen erhört wird und wir erkennen ein kleines Loch im Himmel und es schimmert etwas Blaues hervor!  Es wird tatsächlich heller und der Sturzregen geht in leichten Niesel über. Sollte es wirklich aufhören? Ja, das tut es und die Sonne blinzelt sogar hinter den Wolken hervor, als wenn sie sagen wollte: "War etwas?" 

 

Wir können es kaum glauben, es ist tatsächlich vorüber und die letzten 100 km fahren wir im Trockenen.

Unsere Unterkunft befindet sich in Orduköy, einem kleinen Ort ca. 10 km von Sinop  entfernt. Sinop ist zugleich Hafenstadt wie auch beliebter Badeort, auf der gleichnamigen Halbinsel.

Wir haben tatsächlich ein kleines Apartment mit Küchenzeile und Balkon ergattert. Man empfängt uns hier nicht so herzlich wie sonst, ist ja auch egal, die Vermieter sollen ja nicht unsere Freunde werden. Auf den ersten Blick ist alles in Ordnung, auf den Zweiten Blick und wenn man in die Ecken schaut, ist alles ganz anders. Alle Halterungen sind lose oder fallen beim ersten Anfassen ab, die Tür schließt nicht , über das Bad mit einem verrosteten Handtuchhalter würde sich bei uns jeder beschweren. Ach, wir haben Platz, das Bett ist frisch bezogen und die Handtücher sind frisch!

Wir richten uns ein und haben 2 Tage Zeit.

Es hat 2 kleine Supermärkte und von unserer Unterkunft soll es nur 1km bis zum Strand sein, wo es auch ein Restaurant geben soll. Da machen wir uns doch gleich mal auf den Weg! Ein kleiner Strand ja, ein Restaurant nein! An einem Schild und einem Gebäude erkennen wir, dass es hier mal Restaurant gegeben haben soll, aber es scheint, dass es schon seit Jahren geschlossen ist. Der kleine Strand mit einem kleinen Campingplatz versinkt im Matsch! Auch hier hat unverkennbar das Unwetter gewütet, die Wege sind zwar schon halbwegs abgetrocknet, aber ein Zugang zum Strand ist nicht zu finden. Auch ohne durchgezogenes Unwetter wäre dieser Platz nicht unbedingt zu empfehlen!

 

Orduköy ist wirklich klein, sehr zersiedelt, mal hier ein Haus, mal da!

Ein Lokal mit etwas Essbaren finden wir leider trotzdem nicht. Ein paar Spaghetti mit Sauce sind im kleinen Supermarkt schnell gekauft und zubereitet, ein Effes und einen Sonnenuntergang dazu! Was wollen wir mehr?

 

 

 

Der nächste Tag steht im Zeichen des Bummelns. Wir nehmen den Dolmus nach Sinop- die Meisten kennen das günstige Fortbewegungsmittel im Kleinbus - einfach an der Straße stehen, den gewünschten Bus (das Ziel mit Zwischenhalts steht immer sichtbar auf einem Schild in der Windschutzscheibe) per Handzeichen anhalten, einsteigen, einen sehr gemäßigten Preis bezahlen (der bei unseren Öffis undenkbar wäre) und am gewünschten Ort aussteigen.

Sinop hat eine Festung, eine quirliges Innenstadtleben und eine Strandpromenade. Wir machen einen kleinen Bootsausflug und gehen in einem der zahlreichen Fischrestaurants Fisch essen.

In Sinop gibt es fest gelegte Haltestellen für die Dolmuse in alle Richtungen. Die richtige Haltestelle sowie den richtigen Dolmus zu finden, ist eine kleine Herausforderung. An keinem der Busse steht unser Ziel. Unser kleines Orduköy ist vielleicht zu klein, dass es nicht dran steht, hmmm? Wir steigen in jeden Bus ein, um dann gleich wieder hinausgeworfen zu werden, nachdem wir unser Ziel auf dem Handy gezeigt haben. Das geht ein paar mal so, bis uns ein junger Mann in gebrochenem Englisch anspricht, er wolle auch in die Richtung und wir sollen einfach mit ihm warten. Ein paar Minuten später steigen wir mit ihm in einen Bus, auf dem unser Ziel nicht drauf steht, egal, der junge, nette Mann wird es ja wissen und der Dolmus fährt auch schon los. Der Hinweg sah aber anders aus! Naja, vielleicht eine andere Strecke, die Richtung passt! Wir werden schon nervös, aber unser Orduköy taucht tatsächlich auf und als er  schon fast an unserem Ort vorbei gerauscht ist, machen wir uns bemerkbar, der Bus hält und wir springen raus, ohne mit dem jungen Mann noch einmal gesprochen zu haben. So langsam geht die Sonne unter und wir haben noch einen gut halbstündigen Fußmarsch vor uns!

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Kommentare: 1
  • #1

    Petra Berkmann (Sonntag, 23 Juli 2023 17:18)

    Hallo ihr Lieben,
    ich bewundere euer Durchhaltevermögen bei jeden Wetter auf dem Motorrad zu sitzen. Danke, das ihr mich und viele andere an eurer Reise teilhaben lasst.
    Ganz liebe Grüße aus der Heimat