Bulgarien, unbekannte Orte, unbekannte Schönheiten
Wem ist nicht die Schwarzmeerküste mit seinen Badeorten rund um Varna und Burgas bekannt? Der beliebteste dürfte Goldstrand sein, der jährlich viele Sonnenhungrige anlockt. Aber Bulgarien, das wissen wir von unseren vorherigen Besuchen, hat viel mehr zu bieten als Ballermann -und Partytourismus. Wir wollen Zentralbulgarien und dem Balkangebirge einen Besuch abstatten.
Von unserem Planeten Saturn ist es nicht mehr weit bis zur Grenze.
Unser Ziel ist der kleine Ort Madara östlich von Schumen, eine kurze Etappe von knapp 200 km. Es ist weiterhin sehr heiß und wir schwitzen aus allen Poren. Wir haben bei Negru Voda einen kleinen Grenzübergang gewählt und der Übertritt dürfte innerhalb der EU ja nicht lange dauern. Wir wundern uns schon ein wenig, dass bereits am Morgen dort reger Grenzverkehr herrscht. Und dadurch, dass Rumänien und Bulgarien nicht zum Schengenraum gehören, gibt es dort trotz Zugehörigkeit beider Staaten zur EU, Passkontrollen. Also müssen wir ein wenig Kontrolle über uns ergehen lassen. Kein Problem, die Grenzbeamten fertigen uns zügig ab und sind freundlich. Wir fahren an einer nicht enden wollenden LKW-Schlange auf der Gegenseite vorbei. Hüben wie drüben ist die Landstraße in schlechtem Zustand. Wir umschiffen Schlaglöcher im Zickzack, es ist heiß und der wenige Asphalt kocht. Wir fahren in der Spur der vor uns fahrenden PKWs und bekommen deren aufwirbelnden Staub ab. Bis zur größeren Stadt Dobritsch hat sich der Stop and Go aufgelöst und wir können endlich zügig weiter fahren. Hinter Dorbritsch und mehr oder weniger kurz vor unserem Ziel geraten wir in eine Bulgarische Umleitung. Hier führt keine eine U-Strecke verwirrend rund um eine Baustelle so wie bei uns Zuhause! Nein, hier spart man an Schildern! Ein kurzer Hinweis! Gesperrt und fertig! Fahrer, sieh zu, wie du weiter kommst! Wir fahren so rum und so rum und - keine Ahnung - erreichen wir doch noch unser Ziel.
Ein Zimmer in der Pension mit dem wundervollen Namen Villa St. Michael in dem Ort mit dem wundervollen Namen Madara ist gebucht. Der kleine Ort liegt im Bulgarischen Nichts...Halt!... Nein! Madara ist in ganz Bulgarien für sein in Stein gemeißeltes 1300 Jahre altes Relief "Der Reiter von Madara" bekannt. Unser Domizil liegt am Ende des Dorfes, wo wir ein großes Zimmer gebucht haben, das im Hotelportal höchstgelobte Bewertungen bekommen hat, außerdem ist es das einzige Buchbare. Es lockt den Besucher mit einer Bar, Abendunterhaltung (was auch immer man darunter versteht), einer Gemeinschaftsküche und einem Garten.
Eine ältere Dame empfängt uns und zeigt uns unser Zimmer. Alles neu, alles chic und passt zum Stil des sehr gepflegten Innenhofes! Nachdem wir uns schnell frisch gemacht haben, wandeln wir durch den Garten und inspizieren das gesamte Anwesen, es ist wirklich sehr gepflegt mit kleinen Nischen und Tische mit Stühlen laden zum Verweilen ein. Rosafarbene Rosen, deren Blüten üppig von den Rosenbögen hängen, zeigen ihre Pracht. Dieser Innenhof hat sogar mehrere kleine Kapellen mit vergoldeten Kuppeln. Nichts ist los und wir scheinen die einzigen Gäste zu sein. Ein kleines, abgeschlossenes Gebäude mit Glasfront, an dessen Scheiben wir unsere Nasen platt drücken, deutet auf eine Art Bar hin. In den Bewertungen des Hotelportals lobte jemand den guten Wein und das hervorragende Essen. Vielleicht kann man hier bei einem Gläschen und einem Imbiss der Abendunterhaltung bei wohnen. Die beschriebene Gemeinschaftsküche entdecken wir aber nicht. Gemeinschaftsküchen haben viele Pensionen und Hotels auf dem gesamten Balkan. Dort gibt es meist einen großen Kühlschrank und eine Gelegenheit, sich selbst zu verpflegen. Wir entdecken die Dame, die uns das Zimmer zeigte, auf einer Veranda sitzend vor einem Häuschen, dass wahrscheinlich ihr Zuhause ist. Komisch, sie ähnelt der aus dem Donaudelta sehr, nur, dass sie noch alle Zähne im Mund hat und nicht so füllig ist. Wir stören sie wahrscheinlich gerade bei ihrer Mittagspause Sie hat ein Yorkshireterrierhündchen auf dem Schoß, dessen Fell auf dem Kopf standesgemäß mit einem rosa Spängchen zu einem Zöpfchen zusammen gehalten wird. Mit der einen Hand krault sie den kleinen Körper und mit der anderen hält sie eine Zigarette. Der Aschenbecher quillt über vor Kippen. Als wir sie nach der Gemeinschaftsküche fragen, zuckt sie nur mit den Schulten und schüttelt mit dem Kopf und bei der Frage nach der Bar sagt sie nur ein einziges Wort: "closed!" Auf unser Bitten - wir lassen mal wieder nicht locker - gewährt sie uns schließlich Platz in ihrem persönlichen Kühlschrank. Wir platzieren also unsere Bierdosen und unsere letzten Reserven an Proviant zwischen ihrem Ketchup und ihrem Orangensaft. Als wir uns überschwänglich bedanken, quält sie sich sogar ein Lächeln raus und mit einem "No problem!" fällt sie wieder auf ihr Sofa auf der Veranda, zündet sich erneut einen Glimmstängel an und platziert das Hündchen, welcher uns sehr mitleidig anschaut, wieder auf ihrem Schoß.
Also müssen wir auf Weinchen, lecker Essen und Abendunterhaltung verzichten!
Auf einem Fußweg, der herrlich mit rankenden Weinreben beschattet ist, laufen wir runter ins Dörfchen, wo genauso wenig los ist, wie in unserer Pension. In einem Tante Emma Laden decken wir uns mit Essbaren fürs Abendbrot ein, schlecken unterwegs ein Eis und laufen wieder hoch. Mit einem Achselzucken bedeuten wir der Dame, die immer noch auf ihrer Veranda thront und weiterhin ihr Hündchen auf dem Schoß hält und raucht, dass wir noch etwas in ihren Kühlschrank stellen müssten. Sie deutet mit den Worten "no problem", dass wir durch zu ihrer Küche gehen sollen. Uns ist das etwas unangenehm so durch fremde Wohnungen durch zur Küche zu spazieren. Für sie scheint das "no problem" zu sein. Später müssen wir den ganzen Kram ja wieder rausholen, um unser Essen auf einem der kleinen Tische zu bereiten. "No problem!", wir decken unseren Tisch und als wir fertig sind und den Rest zurück bringen, auch "no problem".
Wir diskutieren noch ein wenig, warum die Bar geschlossen, es weder essen noch Abendunterhaltung gibt. Ein Grund könnte Corona sein... Mit diesen Gedanken gehen wir schlafen und setzen unsere Reise am nächsten Morgen fort, holen noch unsere letzten Dosen Bier aus dem privaten Kühlschrank der Dame, die keine Zeit hat, uns zu verabschieden, muss sie doch rauchen und ihr Hündchen liebkosen. Von unserer Seite aus ist das auch "no problem!" und wir winken ihr freundlich zum Abschied zu.
Der Ort Trjawna in Zentralbulgarien südlich von Weliko Turnowo ist unser nächster Ziel. Habt ihr schon einmal von diesem Ort hehört? Nein? Wir auch nicht! Dort gibt es aber viele Übernachtungsmöglichkeiten, was daraufhin deutet, das dieser Ort etwas Besonderes zu bieten hat und weil er gerade auf unserer Route liegt, buchen wir dort eine Unterkunft! Die Strecke dorthin befahren wir eine Hauptstraße, viel Verkehr, nichts Besonderes. Bei Djarnovo biegen wir ab und es geht typisch bulgarisch weiter. Auf einer Nebenstrecke quälen wir uns Schlagloch um Schlagloch bergauf. Manche, wahrscheinlich die ganz besonders Tiefen, sind frisch geteert und an Split hat man hier nicht gespart. Dieser liegt jetzt tonnenweise auf dem Teer und beim drüberfahren klackert es an den Blechen und ich muss aufpassen, dass ich die, vom Hinterreifen meines Vordermannes hochkatapultierten Steinchen nicht abbekomme. Zielgenau führt uns unser Navi zur angegebenen Adresse. Wir parken und stehen mal wieder etwas ratlos da. Das hatten wir schon lange nicht mehr: die Adresse kann nicht passen und vergleichen Straße und Hausnummer. Wir stehen vor Hausnummer 28, unser Domizil ist aber Nummer 8....! Hmmmm! Wir laufen auf und ab, nirgends ist die Nummer 8 zu finden! Erschwerend kommt die kyrillische Schrift hinzu, wir können die Straßennamen mit denen im Buchungsportal nicht vergleichen. Zumindest sind wir hier falsch. Ich will dort entlang, mein lieber Mann woanders hin. Wir diskutieren vor Haus Nummer 28 und stehen mal wieder kurz vor der Scheidung! Irgendwann gewinnen wir beide wieder unsere Fassung und gemeinsam finden wir endlich die Nummer 8 in der Parallelstraße. Unsere Vermieterin empfängt uns herzlich, übergibt uns die Schlüssel und verschwindet alsdann. So stehen wir da! In einem Hinterhof in einer Seitenstraße in einem Ort dessen Namen wir nicht aussprechen können! Bei unserem Apartment handelt es sich wie so oft um ein privat Vermietetes und dieses hier ist mal wieder eins der ganz besonderen Art. Es hat ein Schlafzimmer, bestehend aus 2 Einzelbetten, die schon beim Hinsehen nicht besonders gemütlich aussehen und das Wort "Kiste" für "Bett" hier wohl hier entspringt! Geschätzte Breite/Länge: 80/180cm! Ein Wohn-ess-küchen-bad-bereich lädt nicht gerade zum Verweilen ein, dafür haben wir einen kleinen Außenbereich mit Sitzgelegenheit. Dann das sogenannte Badezimmer! Die bulgarischen Bäder im Allgemeinen sind sowieso speziell. Es gibt meistens eine Armatur und einen Abfluss für das Duschwasser, ein Waschbecken und eine Toilette und alles auf engstem Raum. Diese hier ist spezieller als alle anderen: hier befindet sich ein WC mit Toilettenpapierabroller, eine Duscharmatur und ein Abfluss! Aber Waschbecken, Spiegel oder sonstige Assessors sind vollkommen überbewertet. Dafür ist das Küchenzeilenwaschbecken so groß, dass man nicht nur Geschirr spülen kann, sondern sich dort auch noch und vielleicht sogar gleichzeitig die Zähne putzen kann. Auch frisieren tut man sich in der Küche, denn der einzige Spiegel befindet sich hier.
Wir geben unser Bestes, dass wir uns hier wohl fühlen!
Die ältere Nachbarin nickt uns freundlich zu, als sie uns auf unserer kleinen Terrasse sitzen sieht. Sie wohnt sicher schon seit Jahrzehnten in diesem Haus und fühlt sich bestimmt wohl in ihrer Wohnküche und putzt sich seit je her die Zähne an der Spüle der Küche. All das macht uns mal wieder sehr ehrfürchtig und lässt uns dankbar sein für den Luxus Zuhause, den wir als solchen meist erst gar nicht bemerken und den wir als alltäglich hinnehmen.
Trjawna ist vor Allem bekannt für sein besonderes Klima, ist es doch von hohen Bergen des Balkangebirges umgeben und bei Lungen- und Herzkranken sehr beliebt. Hier ist auch die älteste Kunstschule Bulgariens ansässig und über die Grenzen hinaus bekannt für seine Holzschnitzkunst und Ikonenmalerei. Auch der bekannte dreibeinige Holzschemel wird hier gefertigt.
Wir sind früh und es macht Spaß, sich ein wenig treiben zu lassen in den kleinen Gassen mit alten Gebäude mit ihrer besonderen Holzbauweise und den vorstehenden Erkern in dem netten Örtchen mit dem unaussprechlichen Namen.
In unseren "Kisten" schlafen wir nicht besonders. Wenigstens passe ich mit meinen kurzen 1,60 m geradeso der Länge nach hinein. Wenn ich mich umdrehe, habe ich die Nase an der Holzumrandung und zur anderen Seite falle ich fast raus. Meinem lieben Mann nebenan geht es ähnlich und etwas gerädert stehen wir frühzeitig auf, unser Kaffee aus unserer persönlichen Kaffeemaschine möbelt uns ein wenig auf. und wir machen uns bereit für den Aufstieg ins Balkangebirge und meine Morgenroutine beginnt wie immer mit dem Kleinen Zeh an die anderen festtapen, Stützsocken an und dann mit Schuhanzieher ab in die Stiefel. Diese Stiefel habe ich ja eigens für meinen kleinen Klumpfuß gekauft . Sie sind zwar nicht wasserdicht, aber dennoch mit ihrem kurzen Schaft optimal für meine Fußbedingungen. Wenn dann alle Zehen gut sitzen, bin ich für den Tag gut ausgerüstet.
Das Balkangebirge erstreckt sich 600km am nördlichen Rand der Balkanhalbinsel von West nach Ost. Im Westteil gibt es über 2000m hohe Berge, die auch die natürliche Grenze zu Serbien bilden. Die höchste Erhebung ist der Botev mit 2376 m
Wir wollen den höchsten Pass, den mit 1185 m bekannten Schipkapass auf der Europastraße 85 überqueren. Wir schlängeln uns über die wunderbar ausgebaute Strecke mit ihren lang gezogenen Kurven bei bestem Wetter, es ist weder zu heiß noch zu warm Dieser Streckenabschnitt ist ein wirklicher Genuss. Auch gut ausgebaute Wege, laden Wanderer ein, diese einzigartige Landschaft zu genießen.
Unser Ziel - das Letzte in Bulgarien - ist die kleine Stadt Peruschtiza südlich von Plovdiv. Bei knapp 5000 Einwohnern kann nicht viel Sehenswertes erwarten und das tun wir auch nicht! Das wohl einzige Hotel im Ort bietet uns ein kleines Apartment mit Küchenzeile, einem geräumigen Wohn- Essbereich und typisch bulgarischem Bad. Ein Platz zum wohl fühlen, alles ist neu und sauber.
Hier ist wenig los und wir spazieren über den kleinen Platz mit Museum und Denkmal und im kleinen Park. Ein unerwartet leckeres Essen erwartet uns in einer unerwartet stylishen Bar mit Grill, auf deren Terrasse wir einen guten Platz finden. Eine unerwartet nette, jung dynamische Kellnerin flitzt zwischen Gästen, Tischen und Bar hin und her, um ihrer Gäste zu bedienen. Etwas nervös mit dem Fuß wippend steht sie dann vor uns, entschuldigt sich hektisch für ihr schlechtes Englisch, was gar nicht so schlecht ist und nicht schlechter als Unseres. Sie empfiehlt uns speziell marinierte Rippchen mit Pommes und Salat! Ihre Arme zieren filigrane Tattoos. Mehr Tatoofassungsvermögen haben ihre Arme auch nicht, so dünn sind sie. Sie leidet etwas an Untergewicht, vermutlich weil sie nicht nur im Job viel rennt sondern auch durchs Leben hastet! Sie nimmt flux unsere Bestellung entgegen und springt gleich zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch zur Bar, um gleich wieder, diesmal ein Tablett mit den schmächtigen Armen balancierend, die gleichen Stufen runter zu hetzen. Ihr zu einem Pferdeschwanz zusammen gebundenes Haar wippt fröhlich beim Laufen hin und her. Freundlich lächelnd steht sie kurz vor uns, um uns unser Bier zu servieren und dann geht es auch gleich weiter zum nächsten Tisch!
Die Rippchen schmecken köstlich, das zweite Bier auch, gute Nacht Peruschtiza!
Noch in Peruschitza müssen wir uns entscheiden, welchen Weg wir einschlagen werden. Weiter Richtung Süden über Nordmazedonien und nach Albanien? Oder das Ganze ein wenig abkürzen und über Serbien und Bosnien-Herzegowina nach Kroatien?
Da wir in den letzten Tagen ziemlich viel rum getrödelt haben, entscheiden wir uns für die kürzere Variante und freuen uns auf Serbien.
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Sasa Poprzen (Samstag, 03 September 2022 22:43)
...habe mit Genuss gelesen...
und, wo seid ihr?
Heidrun (Sonntag, 04 September 2022 17:27)
…..Tante weg….lach und sofort Motorradmomente verschlungen, danke Bella….
STRONZIES
Maik und Elke (Sonntag, 04 September 2022 21:01)
Danke, wir haben mal wieder herzhaft gelacht. Ihr habt aber immer ein Glück mit euren Quartieren. Bis bald. Herzliche Grüße Maik und Elke
Sabine (Montag, 05 September 2022 07:10)
Es bleibt bei euch echt spannend!