Ukraine, ein wunderbares, kurzes Wiedersehen
Nun ist es soweit, heute wollen wir die EU-Außengrenze passieren. So ein Grenzübertritt ist immer aufregend, aber zu Coronazeiten, wie in diesem verrückten Jahr 2021, noch vielaufregender. Wir rechnen mit einer langen Wartezeit...
Zunächst bereitet Julia uns ein deftiges Frühstück. Der Himmel ist Wolken verhangen als wir uns in Helusz in Bewegung setzen. Ca. eine halbe Stunde brauchen wir bis zum großen Grenzübergang Medyka. Wie erwartet ist die Schlange der wartenden Fahrzeuge sehr lang. Mit unseren Motorrädern schlängeln wir uns langsam bis zum Anfang der Schlange. Niemand hupt, niemand scheint etwas dagegen zu haben. Außer der polnische Beamte, der am Schlagbaum der hochbewachten EU-Außengrenze die erste Kontrolle durchführt. Seine medizinische Maske hängt auf halb acht während er mit uns spricht. Gestikulierend bedeutet er uns, umzudrehen und uns ans Ende anzustellen! Puh... das würde uns um Stunden oder eine Ewigkeit zurück werfen. Wir stellen uns bewusst etwas doof und bedeuten ihm achselzuckend, dass wir ihn nicht verstehen. "What do you mean?", sprechen wir ihn in Englisch an. Ein wenig Verharrungsvermögen und Dickfälligkeit hilft manchmal weiter. So auch hier, er gibt auf, spricht etwas in sein Walkie-Talkie, checkt unsere Pässe, gibt uns einen Laufzettel und öffnet uns die Schranke, um an den ersten Schalter vorzufahren. Hier noch einmal Passkontrolle und dann vor zum Zoll. Bei dem etwas lustlos dreinblickenden Zöllner müssen wir proforma ein wenig Gepäck öffnen, Topcase, Tankrucksack, einen Koffer... das wars. Weiter geht es zu den Ukrainern. Hier das Gleiche: Passkontolle, Zoll. Außerdem wird unser Impfausweis kontrolliert und die Bestätigung unserer Auslandskrankenversicherung samt englischer Übersetzung, die die ukrainischen Behörden bei der Einreise verlangen. Alles soll hochoffiziell wirken. Zwei weibliche Beamtinnen fahren mit ihren fein säuberlich bunt lackierten, langen Fingernägeln über die englische Übersetzung der Krankenversicherung und stecken dann ihre Köpfe zusammen, um uns dann wohlwollend durchzulassen.
Wir sind zwar ziemlich aufgeregt, aber alles verläuft ohne Hektik und nach einer guten halben Stunde stehen wir in der Ukraine!
Unsere beiden Ziele in der Ukraine sind das Donaudelta und Odessa. Wenn wir aber schon einmal in dieses Land fahren, dann darf ein Besuch bei unserem "alten", ukrainischen Aupair und Freund, der zu Gast in unserer Familie im Jahr 2005 war, nicht fehlen. Wir haben seitdem regelmäßigen Kontakt, waren zu Gast bei seiner Hochzeit 2016, haben ihn auf unserer Wolgatour 2018 besucht und seine ganze Familie ins Herz geschlossen: Schwester, Bruder, Mutter und Vater und auch seine Frau Lesia. Nun kommen wir ein drittes Mal und sind sehr gespannt. Er ist mittlerweile Vater zweier Jungs. Treffpunkt ist die kleine Stadt Kolomea am Fuße der Karpaten, ca. 60 km süd-östlich von der Gebietshauptstadt Iwano-Frankiwsk entfernt. Hier haben wir ein Hotelzimmer zu Fuße des für die Stadt bekannten Ostereimuseum, gebucht.
Mit dem Grenzübertritt beginnt es erneut an zu regnen. Wir haben noch mehr als 200 km vor uns. Zum Glück ist die Hauptstraße bis Iwano-Frankiwsk wider Erwarten gut ausgebaut, so dass wir auf gutes Durchkommen hoffen. Wie auch in Polen geht der leichte Nieselregen in Regen über und der Regen geht in Starkregen über. Um die Großstadt Lviv (Lvov, Lemberg) wird auch noch der Verkehr dichter und es ist sehr anstrengend, durch die Nässe zu fahren. Vor dem Wasser von oben und dem Spritzwasser von den voranfahrenden und entgegen kommenden Fahrzeugen gibt es kein Entkommen. Zum Glück unsere Regenkombi dicht und wir bleiben wenigstens von innen trocken, aber es will einfach nicht aufhören. Durch meinen beschlagenen und klammen Helm kann ich aber kaum noch etwas sehen. So entschließen wir uns an einer großen Tankstelle einen Stopp einzulegen und abzuwarten bis das Gröbste vorbei ist. Ähnlich groß und komfortabel ist diese Tankstelle und hier können wir wenigstens mit einem Kaffee in der Hand und einem kleinen Imbiss ausharren. Leider läuft die Zeit, die von unserem Treffen mit "Vovo" abgeht. Irgendwann wird der Sturzregen weniger und wir setzen bei normalen Dauerregen unsere Fahrt fort. Die Route führt uns direkt durch die City von Iwano-Frankiwsk. Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie es sich anfühlt, mit dem Motorrad durch eine ukrainische Großstadt bei Dauerregen zu fahren! Die Schlaglöcher, die es zu umfahren heißt, sind gefüllt mit Wasser und nach Hunderten von roten Ampeln sind wir endlich durch. Die Straße nach Kolomea, die noch vor 3 Jahren in einem schlechten Zustand war, ist zum Glück saniert und kurz vor der Stadt hört es tatsächlich und endlich auf zu regnen. Wie auf Knopfdruck an einem An - und Ausschalter scheint die Sonne. Wir können es kaum fassen, so erreichen wir unser Ziel bei Sonnenschein! Wäre es schön, die Sonne bei Knopfdruck an und ausschalten zu können!
Wie unser Treffen ausfällt, könnt ihr euch sicher vorstellen! Bereits am Hoteleingang erwartet uns die liebe Familie. Auch Vovos Mutter ist gekommen, mit dem Bus aus dem entfernten Heimatdorf extra angereist. Selbst gebackene Kekse und ein Glas frischen Honigs überreicht sie uns. Ein paar Tränen verquetschend schließt sie mich in ihre ukrainischen Arme. Ich bin so was von gerührt, kann auch meine Emotionen kaum verbergen. Und schon ist es auch vorbei, das kurze Treffen mit der Mutter unseres ehemaligen Aupairs, die nur gekommen war, um uns weniger als eine halbe Stunde zu sehen! Sie muss wieder zurück mit dem Bus nach Debeslavzi, ihrem kleinen ukrainischen Dorf. Ich verspreche mir selbst, die Kekse zu essen und das Glas Honig sicher durch die Weltgeschichte bis nach Hause zu transportieren! Aus unserem anfangs schüchternen Aupair ist ein Familienvater geworden. Es ist schön, seine Entwicklung mitzubekommen! Viel Zeit haben wir leider nicht. Wir genießen ein gemeinsames Essen mit Frau und Kindern. Erörtern Politik und die wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine. Unvorstellbar, dass sich dieses Land immer noch in einem Kriegszustand befindet.
Überhaupt haben wir Glück, ihn Zuhause anzutreffen, denn mehr als die Hälfte des Jahres arbeitet er als Erntehelfer in Österreich, als studierter Mann, mit einem Diplom als Übersetzer und einem abgeschlossenem Hochschulstudium in Diplomatenwesen! Er verdient in einem halben Jahr mehr in Österreich bei Mindestlohn und harter, körperlicher Arbeit als in einem Jahr bei einer ukrainischen Behörde! Unfassbar, dass ihm sein Land keine Perspektiven bieten kann. Das ändert auch der neue Präsident Selenski nicht. Wir hören ihm gespannt zu. Auch seine Mutter bekommt nur eine schmale Rente von umgerechnet 80 Euro im Monat bei explodierenden Preisen, vor Allem für Energie. Kein Sozialstaat, der sie alle auffängt! Strukturen, die wir auch nach diesem Abend nicht verstehen.
Aber wenn wir es könnten, wir würden die Welt retten!
Ziemlich spät, aufgeputscht und doch so fertig fallen wir in unsere weichen Hotelbetten.
Was uns noch bleibt, ist ein gemeinsames Frühstück am nächsten Morgen und dann geht es für uns weiter...Weiter in ein uns unbekanntes Land, das da Moldawien heißt!
Zu nah ist dieses Land, um es auf unserer Reise auszulassen! Und das bedeutet zunächst: Ausreisen aus der Ukraine, einreisen nach Moldawien, um dann wieder ausreisen aus Moldawien und einreisen in die Ukraine um weiter unsere Highlights zu besuchen!
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Heidrun (Sonntag, 08 August 2021 22:00)
Ach Bella, mein kleines siegerländer Herz geht auf...
wie schön...
Sabine (Mittwoch, 11 August 2021 12:30)
Ich bewundere euch immer mehr. Ich bin total gespannt auf den persönlichen Bericht bei unserem Wiedersehen!!! LG
Maik und Elke (Mittwoch, 11 August 2021 13:43)
Hallo ihr Zwei, jetzt können wir euren Newsletter lesen. Musste eine andere Email Adresse nehmen. Ein sehr schöner Reisebericht der unter die Haut geht. Gute Reise weiterhin. Herzlichen Gruß von Maik und Elke