Masuren, eine Spurensuche
Masuren!... Da, wo der Himmel blauer, die Wolken weißer, die Sterne funkelnder, die Luft klarer und die Seen zahlreicher als anderswo sein sollen!...
Es fällt mir Siegfried Lenz ein: "So zärtlich war Suleyken"...
Und der Geburtsort meines Vaters: Groß Schiemanen, Kreis Ortelsburg und für ihn immer "sein" Ostpreußen, von wo aus er als 17-Jähriger freiwillig in den Krieg zog und nach kurzer, russischer Gefangenschaft nie wieder dorthin zurück kehrte...
Gerade in diesem Ortelsburg, schon lange nicht mehr als dieses bekannt, das heutige Szczytno, gerade dort haben wir eine Unterkunft gefunden.
Zunächst einmal fahren wir auf kleinen Landstraßen. Alleenreicher werden sie und wieder säumen Storchennester den Weg durch die kleinen, abseits gelegenen Dörfer. Wir halten für ein Päuschen am Wegesrand und unbeabsichtigt an einem geschichtsträchtigen Ort. Wir halten also zufällig am Rande eines kleinen Ortes, Namens Orlowo direkt neben einem Ehrenfriedhof. Hier ruhen ca. 1500 Kriegsopfer - weit mehr Russische Soldaten als Deutsche - die bei Orlau im Zuge der Schlacht bei Tannenberg 1914, gefallen sind. Ich gehe durch die Reihen und sehe Grabsteine von Einzelgräbern, deren Namen kaum mehr durch die Verwitterung erkennbar sind, auch Massengräber gibt es.
Ich finde es mehr als seltsam, hier ganz rein zufällig zu stehen.
Meinen Gedanken hinterher hängend, fahren wir weiter bis Szczytno, wo uns ein Apartment für 2 Nächte erwartet. Es liegt im Souterrain, ist zwar ziemlich dunkel und für unsere Verhältnisse mit über 60 qm etwas überdimensioniert. Von der Vermieterin bekommen wir 2 klapprige Räder gegen einen Aufpreis ausgeliehen und radeln ins nahe gelegene Szczytno. Hier scheint es nur 2 Restaurants zu geben. Diese sind überfüllt und nach geraumer Zeit ergattern wir einen Tisch in einer Pizzeria (was sonst?). Mittlerweile ist es uns so ziemlich egal, was wir zu essen bekommen, die Hauptsache, wir bekommen überhaupt etwas. Die Kellnerin weist uns höflicherweise darauf hin, dass es länger dauern wird mit dem Essen.
3 Kellner, 8 Tische und über eine Stunde Wartezeit bis zur Pizza! ...Aber dafür schmeckt sie, die Pizza! Oder haben wir etwa nur Hunger?
Im Stockdusteren, die Straße unbeleuchtet und unsere Fahrräder ohne Licht, finden wir tatsächlich unsere Unterkunft. Meinem Mann seinem Orientierungssinn sei Dank!
Ein kleiner Ausflug in den Geburtsort meines Vaters, nach Groß Schiemanen, dem heutigen Szymany, gelegen an einer Hauptverkehrsader Richtung Warschau, bildet den heutigen Höhepunkt. Wir fahren die Straße auf und ab. Hier hat mein Vater seine Kindheit verbracht!
Zurück in unserem Apartment packen wir schnell noch unsere Sachen für ein Bad im nahe gelegenen See. Was wäre unsere Tour, ohne in einem masurischen See gebadet zu haben?
Heute kochen wir selbst, wir haben keine Lust auf lange Wartezeiten!
Eigentlich wollten wir Masuren noch intensiver erkunden, unser Favorit Mikolajki /Nikolaiken am größten See, dem Spirdingsee. Aber wir haben wieder keine Chance, es ist alles ausgebucht in, um und weiter weg von Mikolajki...
Kurzerhand denken wir um, können ein Zimmer in einem kleinen Hotel im Gürtel von Olsztyn/Allenstein buchen, nur ca. 50 Kilometer weiter nordwestlich von Szczytno. Wenn wir schon mal hier sind, machen wir wenigstens eine kleine Motorradsightseeingtour. Über Mikolajki geht es weiter über Ketrzyn/Rastenburg und weiter nach Olsztyn/Allenstein, gute 200km!
Rastenburg?... Da war doch was!... Ja, in der Nähe von Rastenburg bei dem kleinen Dorf Görlitz...die Wolfsschanze, das Führerhauptquatier! Das müssen wir unbedingt besuchen!
Der Himmel ist tief dunkel als wir losfahren. Kleine Dörfer und Alleen, so wie ich es mir vorgestellt habe. Aber das Wetter macht uns leider einen Strich durch die Rechnung, es beginnt zu regnen, mal mehr, mal weniger.
Diese Alleen gibt es wirklich. Bäume rechts und links wachsen über der Straße zusammen, viel Wasser, kleine und große Seen ebenfalls rechts und links der Straße, die Straßen eng und holprig. Gar nicht auszumalen, wenn wir Sonnenschein hätten!
Unsere Stimmung ist schon etwas betrübt. Erst bekommen wir nichts zu wohnen und dann macht uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung!
Wir fahren durch Mikolaijki und sind eigentlich froh, dort nicht unter gekommen zu sein. Eine Touristenhochburg voller Menschen! Was wir so im Augenwinkel bei der Durchfahrt erkennen, muss bei Sonnenschein und ohne die vielen Menschen wohl sehr schön sein. Diese Gegend sollte man außerhalb der Saison, vielleicht im Frühjahr besuchen!
Ziemlich genau passend zum Thema ist das Wetter: Wir besuchen die Wolfsschanze. Zum Glück regnet es nicht aber der Himmel ist immer noch dunkelgrau Wolken verhangen. Eine kilometerlange Autoschlange schiebt sich im Schritttempo zum Eingang. Wir nützen die Vorzüge von Motorradfahrern und schlängeln uns am scheinbar endlosen Stau vorbei und haben somit wahrscheinlich mindestens eine Stunde gespart.
Deutsche Kennzeichen sieht man wenig, aber dafür einige deutsche Reisebusse. Wahnsinnig voll ist es, aber zum Glück verläuft es sich ein wenig im Inneren.
Führerhauptquartier! Hier verbrachte Adolf Hitler, einer der größten Diktatoren und Verbrecher der Menschheit den größten Teil seiner Zeit im 2. Weltkrieg. Von hier aus zog er die Strippen zu seinem größenwahnsinnigen "Projekt" und leitet seine Vernichtungskriege.
Uns schauert es, während wir vor den Ruinen und meterdicken Mauern der einzelnen Bunker stehend, die Schautafeln lesen.
Im November 1944 verlässt Hitler diese Anlage und als die Rote Armee auf dem Vormarsch ist, sprengt sie die Wehrmacht im Januar 1945.
Aber nicht zuletzt war die Wolfsschanze auch Schauplatz des Widerstands! Hier verübte am 20. Juli 1944 Claus Schenk Graf von Stauffenberg das berühmte Attentat.
Sehr, sehr berührt verlassen wir diesen Ort! Der Himmel ist immer noch dunkelgrau...
Und wir begeben uns Richtung Olsztyn, dem Ende unserer kleinen Rundtour.
Wider den Beschreibungen im Portal, haben wir bei der Wahl der Unterkunft diesmal total daneben gegriffen. Dabei sahen doch die Fotos sehr schön aus! Die Beschreibung ist total gelogen. Statt einer voll ausgestatteten Gemeinschaftsküche finden wir eine ekelige Küchenzeile vor, wo die Hälfte fehlt, z. B. ein Kühlschrank, weder Mülleimer noch sonst irgendeine funktionale Einrichtung eines Hotelzimmers suchen wir vergeblich und einen Teppich, der vermutlich noch nie einen Staubsauger gesehen hat, betreten wir vorsichtshalber auf keinen Fall barfuß. Die Krönung ist das Gemeinschaftsbad. Gemeinschaftsbad? Nein, in der Beschreibung steht: "Jedes Zimmer verfügt über ein eigenes Bad". Das Einzige, was einigermaßen vertretbar ist, ist das Bett mit frisch bezogener Bettwäsche... Zumindest wirkt es so! Eine Diskussion mit dem Vermieter führt leider ins Nichts. Wir bleiben trotzdem und arrangieren uns!
Ein Spaziergang am nahe gelegenen See und ein gutes Essen in einem vernünftigen Restaurant, wo wir ziemlich lange bleiben, um die Zeit hinauszuzögern, lassen uns wie immer das Beste draus machen! Es ist ja nur für eine Nacht!
Wir sind froh, am nächsten Morgen dieses Hotel möglichst zügig verlassen zu können. Heute scheint wieder die Sonne.
Wir verabschieden uns von Masuren mit einer Fahrt durch, mal lichtdurchflutete, mal schattige Alleen auf den kleinen, holprigen Landstraßen, mit den Seen rechts und links und einem Himmel, der wahrscheinlich blauer ist als anderswo und die Wolken wohl weißer sind als anderswo ...
Unser Ziel ist ungefähr die nördliche Mitte Polens, die Stadt Bydgoszcz. Dort wollen wir überlegen, wie der Rest unserer Reise weiter gehen soll. So viel Optionen haben wir ja nicht. Eine gute Woche verbleibt uns noch.
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Heidrun (Donnerstag, 20 August 2020 22:21)
Gänsehaut