Mütterchen Wolga hat uns wieder!
Eigentlich wollte ich einen zusammengefassten Wolgablog schreiben von Astrachan bis Samara. Aber ich habe mich entschlossen, einen kompletten Eintrag nur unserem Highlight Nr. 5, dem Wolgadelta und unserer Fahrt ins Delta zu den Lotusfeldern, zu widmen. Denn das hat es auf jeden Fall verdient!
Nachdem wir diese schreckliche, ewig lange Baustellenfahrt hinter uns an haben, halten wir am nun endlich wieder gepflasterten Straßenrand. Als ich mit hoch rotem Kopf absteige, zittern mir die Knie! Ich muss erst einmal inne halten. Ein Wunder, dass wir ohne zu verunfallen, im Sand wegzurutschen oder stecken gebleiben zu sein, da durch gekommen sind. Wir nehmen uns durch geschwitzt, aber glücklich in die Arme.
Weiter geht es mit starkem, heißem Seitenwind nach Astrachan. Diese Stadt unweit des Wolgadeltas hat uns schon letztes Jahr sehr gefallen und die Vorfreude darauf lässt unsere Laune wieder besser werden! Früh genug kommen wir im empfohlenen "Astra Inn" an, das letztes Jahr leider voll war. Ein kleines, sympatisches Hotel mit einem tadellosen und sauberen Zimmer empfängt uns! Es entpuppt sich als schönste Unterkunft der bisherigen Fahrt. Von dort aus können wir auch eine Tour ins Wolgadelta buchen. Die freundliche, Englisch sprechende Rezeptionistin greift zum Telefonhörer und bestätigt uns kurze Zeit später unsere Buchung. Morgen ist ein erneuter freier Tag eingeplant und ein wenig Erholung, ohne uns gleich wieder auf die Motorräder zu schwingen, können wir wieder gebrauchen.
Abends nutzen wir die Zeit, uns in den Straßen Astrachans treiben zu lassen und Mütterchen Wolga einen Besuch abzustatten. Hier fließt sie gemächlich dick und breit vor sich hin. An diesem lauen Sommerabend sind noch viele Menschen unterwegs. Kinder flitzen mit kleinen Elektroautos, die man an jeder Ecke leihen kann, über die Wege. Einer stolz, der andere vorsichtig, ein Mädchen weint, weil ihres wohl nicht fahren will und ein Vater läuft seinem kurvenfahrenden Sohn hinterher. Frauen stolzieren mit High Heels und dem neuesten Chic am Körper über die Promenade, jeweils einen breitschultrigen, im Gym trainierten und am Hals tätowierten Muskelprotz an ihrer Seite, der lässig den Arm um sie legt. Diese Pärchen passen so ganz genau in unsere Schublade. Der übliche Russenpop schallt schon am frühen Abend aus den Restaurants und Bars. Wir lassen uns in einem zum Restaurant umfunktionierten und im amerikanischen Stil nach empfundenen Raddampfer nieder. Kitschig wirkt der Sonnenuntergang und ein leckeres, kühles, kroatisches Bier erfrischt unsere Kehle. Nein, nach Fisch ist uns nicht und wir hüten uns, einen Wobla, dem typischen Wolgafisch und Spezialität der Region zu bestellen. Wir erinnern uns noch genau an unsere Erfahrung mit diesem silbernen Fischlein letztes Jahr.
Dabei spekulieren wir schon einmal, wie unserer morgiger Ausflug ins Delta sein wird.
Das Wolgadelta ist mit 27224 km2 das größte Flussdelta Europas. Größtenteils steht es unter Naturschutz und ist Zwischenstation für zahlreiche Zugvögel. Reiher, Kormorane, sogar Seeadler sind dort heimisch. Es ist auch Lebensraum für den bekannten Lieferanten von Kaviar, dem Stör, dessen Fang zum Glück stark reglementiert ist.
Um 9.00 Uhr morgens soll die Tour los gehen, gebucht ist eine Halbtagestour bis ca. 16.00 Uhr laut der netten Mitarbeiterin des Astra Inn´s. Ausgangspunkt ist ein bekanntes Hotel an der Promenade, eine Viertel Stunde vorher sollen wir uns einfinden. Überpünktlich stehen wir am beschriebenen Ort. Wir schauen uns um, aber niemand und nichts ist zu sehen. Ein wenig abseits parkt ein großer Reisebus auf dem kyrillische Buchstaben prangen. Vielleicht ist der das ja. Wir nehmen unsere Kyrillischlesenkenntnisse zusammen, aber nichts deutet auf eine Deltatour hin. Im Hotel wird man uns sicher Auskunft geben können und wir gehen an die Rezeption des sich international gebenden Hotels, von dem aus man auch diese Deltatouren buchen kann und befragen auf Englisch die Rezeptionistin. Offensichtlich nichts verstehend - so schlecht ist mein Englisch doch gar nicht ! - blickt sie uns mit großen unschuldig drein blickenden Kulleraugen an und fragt "Parking"?... "No, not parking... Delta... Volga... we have booked a tour to the Volgadelta via Hotel Astra Inn"... Sie schaut uns immernoch fragend an und zuckt mit den Schultern. Also, kein Erfolg!... Seltsam... wir gehen wieder raus zu dem Bus und quatschen den Busfahrer an... Auch der schaut uns nur schlaftrunken an und runzelt die Stirn, kein Wort kommt über seine Lippen! So früh am Morgen ist es nun auch wieder nicht! Also auch kein Erfolg. Oh, da kommt ein Grüppchen Frauen, 4-5 opulente Damen. Sie sehen aus wie pensionierte Lehrerinnen (sorry Gaby!), zumindest machen sie einen sehr gebildeten Eindruck. Vielleicht verstehen die uns ja! Wir reden trotzdem auf sie ein, schließlich soll es in 5 Minuten los gehen. Nein, auch nicht! Wieder kein Erfolg! ... oder doch? Es fällt das Wort Lotus und Exkursion, "да да (da, da)", sie nicken synchron und bitten uns gestikulierend, im Bus Platz zu nehmen. Wir diskutieren noch ein wenig unter uns, ob das wirklich der richtige Bus ist, steigen dann aber wagemutig ein und nehmen wie schüchterne Schüler auf der letzten Sitzbank Platz.
Doch dann trudeln noch weitere Personen ein und der Bus füllt sich. So ganz sicher sind wir uns immer noch nicht, aber die sehen aus, als wenn sie auch eine Deltatour gebucht hätten, reden wir uns ein. Aber wie sieht eigentlich ein passionierter Wolgadeltabesucher überhaupt aus? Wir erkennen Schirmmützen, kurze Hosen, Provianttüten und Fotoapparate. Das könnte passen!
Dann kommt SIE und reißt mich aus meinen Gedanken und steigt resolut in den Bus!!! Genau pünktlich, 1 Minute vor der eigentlichen Abfahrt! SIE nimmt ein Mikro in die Hand und schreit mit fester Stimme dort hinein. Wie bei einem Apell geht sie eine Namensliste durch, brav heben die Aufgerufenen die Hand. Zum Schluss kommt die Erlösung, auch unser Name wird klar und deutlich, einwandfrei ausgesprochen, aufgerufen. Jippi, wir sind richtig! Elena heißt SIE und ist unsere Reiseleiterin, sogar des Englischen mächtig! Supi! Unsere Anspannung löst sich und wir beobachten die vor uns sitzenden, wohl aus allen Teilen Russlands kommenden Touristen, Familien mit kleinen und großen Kindern, Paare und unsere Lehrerinnen, alles in Allem ca. 30 Leute. Der Bus mit dem schläfrigen Busfahrer setzt sich in Bewegung und rumpelt über die Schlaglöcher Richtung Stadtgrenze. Hoffentlich ist er wach genug, uns sicher ins Delta zu chauffieren. Derweil schreit Elena weiter durch ihr Mikrofon als wäre es ein Megafon. Sie redet und redet und redet, ohne Punkt und Komma, selbst zum Luftholen pausiert sie nicht. Ausländische Touristen sind wohl selten und wegen uns 2 Hansels wird nichts in einer anderen Sprache außer russisch erkärt. Elena hat sicher einiges Informatives zu erzählen über Astrachan, dem Delta und den Lotusblumen. Das hätte uns schon interessiert, aber das macht trotzdem nichts, wir schauen aus dem Fenster und lassen die vorbeiziehende Landschaft auf uns wirken. ... mehr als eine ganze Stunde geht es redeschwallmäßig bis zum Ziel an einen kleinen Ort am Delta, dem Ausgangspunkt unserer Bootstour. Dort werden wir auf 3 Boote verteilt. Unseres ist das mit den pensionierten Lehrerinnen und Bert ist Hahn im Korb. Die Temperaturen sind noch angenehm und wir schippern gleich los. Nur der Außenbordmotor surrt. Bis zum ersten Stopp, einem regelrechten Kleinod, irgendwo in dem verzweigten Delta, ist es nicht mehr weit. Wir werden mit einem Häppchen Weißbrot und "Kaviar" (wahrscheinlich nicht Echtem) und einem Glas Wodka begrüßt... Hui!... So fast auf nüchternem Magen! Na dann, Augen zu und durch, wir kippen den Alkohol. Die Lehrerinnen zwinkern uns zu und tun und haben schon vor uns ihr Glas geleert. Er brennt ganz schön im Hals und ich muss mich schütteln. Die Lehrerinnen lachen. Das Kaviarhäppchen gleich hinterher, dann geht es wieder!
Kurze Pause auf der kleinen Insel und vom Schnaps betütert steigen wir wieder ins Boot und es geht weiter mit der Tour. Nach kurzer Zeit tauchen sie auf! Die Lotusblumenfelder, von denen ich schon viel gelesen habe! Einzigartig sind sie in Europa! Auch hier ist der Umweltschutz angekommen und es ist gut so, dass sie geschützt sind und immer nur eine bestimmte Anzahl von Touristen in dieses riesige Biotop gelassen wird. Wir sind wirklich überwältigt von dieser Schönheit! Seerosen wirken dagegen wirklich mini! Wunder, wunder schön ist diese Natur! Immer wieder fährt uns unser Bootsmann direkt rein! Ich mache Foto um Foto! Man wird richtig trunken von dieser grandiosen Schönheit! Wir tauchen immer wieder in die kitschige Farbe der riesigen Blüten ein und die riesigen Blüten überragen uns und unser Boot. Soweit das Auge reicht: pink, pink und nochmal pink!
Nachdem wir uns satt gesehen haben, fahren wir durch kleine Kanäle zu einem Badestopp. Vom Boot aus können wir direkt in die Wolga springen. Gut, dass wir Badeanzug und Badehose schon im Hotel drunter gezogen haben und unsere Handtücher eingepackt haben! Die Lehrerinnen begeben sich sofort und plappernd in das kühle Nass. Zögerlich folgen wir ihnen, aber das Wasser ist angenehm, herrlich und erfrischend. Was für ein Erlebnis! Wir plantschen bis Elena vom anderen Boot aus in die Hände klatscht und zum Aufbruch winkt. Alle begeben sich ohne Umwege direkt und ohne zu murren in ihre Boote und weiter geht´s. Erneuter Halt ist die kleine Insel von vorhin. Tourimäßig, was vollkommen ok ist, werden wir verköstigt. Lieblos wird uns von den Kellnern unser Mittagessen gereicht, Fischsuppe als Vorspeise, Fischbouletten mit Reis als Hauptgang, vermutlich aus Wobla, haha, aber besonders appetitlich sieht dieses Essen nun wirklich nicht aus. Da wir sind ja experimentierfreundlich und unsere Höflichkeit es uns gebietet, probueren wir wenigstens davon. Wir kommen aber zu dem Schluss, dass das kein kulinarisches Highlight ist. Zum Nachtisch gibt es Obst, das ist lecker und süß. Wir sitzen nach Booten aufgeteilt an langen Bierzeltgarnituren, uns gegenüber der Lehrerinnentrupp. Mangels Sprachkenntnisse kommt leider kein Gespräch mit ihnen in Gang. Aber trotzdem, wir scheinen uns gegenseitig sympatisch zu sein, zucken mit den Achseln und lachen uns an.
Dann ist Pause, Freizeit zur eigenen Verfügung! Wie lange? Keine Ahnung! Auch Elena sehen wir nicht, um zu fragen. Die Truppe verstreut sich in alle Richtungen. Wir bleiben vorsichtshalber in der Nähe der Lodge, um nicht die Abfahrt zu verpassen. Wir strecken uns auf die bereit gestellten Liegen aus und lassen, ohne zu sprechen, unseren Gedanken freien Lauf. Ich kann es noch gar nicht richtig fassen! Ich liege auf einer einer Strandliege mitten im Wolgadelta in Russland! Und während ich das so denke, merke ich wie gelassen und entspannt ich gerade bin. Ein Blick auf meinen Mann neben mir verät mir, dass er vermutlich Ähnliches denkt! Es ist so herrlich ruhig und ich döse etwas ein. Keine Ahnung, was mich aus meinen Gedanken holt, aber ich schrecke auf und schaue auf die Uhr! Es ist bereits 16.00 Uhr. Um diese zeit sollten wir doch schon zurück in Astrachan sein! Nein, wir haben die Abfahrt nicht verpasst, unsere Boote liegen noch vor Anker. Ich blinzele gegen die Sonne und bemerke, dass mein lieber Bert immernoch neben mir liegt und immernoch sein Nickerchen macht, aber so langsam trudeln unsere Mitreisenden ein und begeben sich Richtung Ableger. Wir holen uns noch ein Eis und es dauert doch noch eine ganze Weile bis Elena alle eingesammlt hat und zur Abfahrt ruft! Wir schippern zum Ausgangspunkt, wo bereits unser Bus wartet. Elena nimmt als Letzte neben dem Fahrer Platz, fragt uns uns mit ihrem harten Akzent auf Englisch, ob es uns gefallen hat. Uns fallen da Worte ein wie "amazing", "teriffic" "magnificent" und wir zeigen unsere Daumen hoch! Auf der Rückfahrt bleibt auch Elena still, wir halten nur noch einmal an einem Stand für Trockenfisch und unsere Mitreisenden shoppen, was das Zeug hält. Der Wobla steht hoch im Kurs!
Aus der geplanten Halbtagestour ist eine Ganztagestour geworden. Astrachan erreichen wir nach 19.00 Uhr! Wir verabschieden uns von den Lehrerinnen und von Elena.
DANKE! Ein wunderbar entspannter Tag, der uns noch lange in Erinnerung bleiben wird! Highlight Nr. 5, bisher das Beste!
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Christian Hammann (Montag, 29 Juli 2019 17:57)
Liebe Freunde
Elena hätte ich bestimmt auch gebraucht!!!
Liebe Grüße und Umarmung ,euer Chrischaaan
Joachim + Ernst (Mittwoch, 31 Januar 2024 10:44)
Hallo Russland Reisende,
wir waren auch 2019 in Russland. Mit dem PKW quer durch bis Wladiwostok, einfach spitzenmäßig ! Im Mai 24 wollen wir auch ins Wolgadelta, wofür Euer Bericht sehr hilfreich ist, danke dafür. Dann weiter zum Kaspischen Meer und über Georgien und Türkei zurück nach Europa. Wir freuen uns schon sehr.
Joachim
Sabine (Montag, 12 Februar 2024 17:41)
Hallo Joachim, leider gibt es hier auf unserer Website keine Möglichkeit auf die Kommentare zu antworten. Auch haben wir keine email von euch. Ich hoffe aber sehr, dass ihr vielleicht diesen Kommentar hier lest. Eben keine böse Absicht unsererseits. Zu gerne wären wir mit dir in Kontakt getreten, denn eure Geschicht rud um die Wladiwostok Reise ist sicher sehr spannend gewesen! Auch hätte uns interessiert, wie ihr ihr eure kommende Reise plant. Die Weltenlage hat sich ja enorm verändert!
Also, wenn ihr das hier lest, schreibt uns gerne eine private mail! Wir würden uns freuen.